Buch-Review: R.K.Sprenger - Die Magie des Konflikts

Von Dr. Lutz Fricke
3 Minuten Lesezeit

Inhaltsverzeichnis

Wenn ich in der Arbeit mit Teams zu Beginn die Frage stelle, ob die Teilnehmenden sich eher als konfliktscheu oder konflitkfreudig bezeichnen würde, melden sich mindestens 85% für "konfliktscheu", meistens wesentlich mehr. Konflikte haben einen schlechten Ruf, niemand will sie, alle wollen sie vermeiden. Zumindest auf Nachfrage. Warum? Nun, Konflikte spalten, trennen, kosten Kraft und Zeit, sie drohen, immer weiter zu eskalieren, unkontrollierbar zu werden. Auf den zweiten Blick ist die Sache allerdings nicht ganz so eindeutig. Konflikte sind interessant (zumindest bei anderen), sie fordern Aufmerkamkeit, sie sind Hinweise auf eine nötige Veränderung, und sie verbinden. In diesem Doppelcharakter liege die "Magie des Konflikts".

Das wenigestens ist die auf gut dreihundert Seiten ausgeführte Überzeugung von Reinhard K. Sprenger in seinem Buch "Magie des Konflikts", das 2020 im Pantheon Verlag in München verlegt wurde. Sprenger arbeitet seit den 90er Jahren als "Managementberater". Seit Jahren bietet er für kanpp 2000 CHF einen Kurs mit dem gleichen Titel an, und mit dem Buch liegt jetzt das Skript in überarbeiteter Form vor. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis lässt erkennen, dass es Sprenger um analytische Genauigkeit geht, die dann in den mit vielen Beispielen aus der Arbeit Sprengers gespickten Kapiteln gelegentlich aufblitzt. Das Buch richtet sich vor allem an Menschen in betrieblichen Führungspostionen und diejenigen, die aus der tief sitzenden Konfliktscheu ausbrechen und Konflikte besser verstehen wollen.

Wie nicht anders von einem promovierten Philosoph zu erwarten, weiß Sprenger um die Bedeutung von Bedeutungen. Für den Begriff dses Konflikts bedeutet das, dass die Auffassung die Handhabung bestimmt, oder noch kürzer, das "Was" bestimmt das "Wie". Der weit verbreiteten Haltung der Konfliktvermeidung und -unterdrückung setzt Sprenger die Gattungsthese entgegen, dass "Konflikt die eigentliche Lebensform" des Menschen sei - "confligo ergo cogito - ich streite, also denke ich". Er setzt also auf Normalisierung der vermeintlichen Ausnahme, Konflikte will er als Ressource der Sinnfindung und für Lernprozesse nutzbar werden lassen. Wer von der Lektüre konkrete Werkzeuge erwartet, mit denen kaputte soziale Interaktionsformen repariert werden können, wird leer ausgehen. Es geht ihm um einen Wechsel der Perspektive auf Konflikte, um die Destruktion des destruktiven Konfliktbegriffs, Konflikte sind für Sprenger das Salz des Lebens und die Trafos betrieblicher Lernprozesse.

Das Buch ist in fünf Teile gegliedert. nach einem erfreulich offenen Plädoyer für eine Normalisierung zwischenmenschlicher Konflikte und der Einladung, mehr Mehrdeutigkeiten zu tolerieren, geht es im Anschluss um "psycho-soziale Konflikte". Solche definiert er als Situationen, in denen unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen und dies negativ erlebt werden. Dieser Definiton stellt Sprenger Faktoren beiseite, die Konflikte eskalieren lassen: Die Beteiligten wollen ihren Vorteil wahren und recht behalten, sie bleiben im Unklaren über ihre Mitverantwortung am geschehen und kämpfen um Dominanz und Anerkennung. Immer wieder gibt es anekdotische Verweise auf psychologische, philosophische und soziologische Arbeiten, die die Themen illustrieren. Ziel einer Konfliktbearbeitung sollte nicht eine Lösung sein, sondern die ehrliche Abwägung, ob eine Fortsetzung der, momentan konflikthaften, Beziehung überhaupt gewollt wird. Ist das der Fall, kann auch der Perspektivwechsel gewollt werden. Für Konfliktgespräche gibt es dann doch noch ein Rezept: Zum richtigen Zeitpunkt und ohne nachtragend zu sein braucht es Klarheit. Diese stelle sich ein, wenn die eigen Verantwortung kommuniziert werde, wenn es um das Problem und nicht die Person gehe, wenn möglichst spezifisch und zukunftsorientiert für beide vorteilhafte Änderungen besprochen werden.

Im Rest des Buches geht es um Konflikte in Unternehmen (systemisch-soziale Systeme) und die Haltung, die sich daraus für Menschen in Führungsrollen ableiten lassen. Auch hier wird betont, dass es eine Willkommenskultur für Konflikte geben sollte, und diese maßgeblich von oben eingeführt werden sollte.

Das Buch liefert eine Fülle an Angeboten und Beispielen, um aus einer konfliktvermeidenden Haltung hin zu einem normalisierten und optimistischen Konfliktverständnisses zu kommen. Inosfern hält es, was es verspricht. Es liefert viele Beispiele und Anleitungen die sich leicht in den Alltag übersetzen lassen. Die begriffliche Klarheit und die Einbettung in wissenschaftliche Bezüge machen zumeist Sinn, auch wenn gelegentlich der Eindruck entsteht, dass damit das unzweifelhaft vorhandene Wissen auch gesehen werden will. Etwas laut sind die vielen Aphorismen, die, rot im text abgesetzt, gelegentlich etwas zu laut uns Ohr der Leserin brüllen.

Aus der Sicht der professionellen Konfliktbegleitung antwortet das Buch auf eine wichtige Frage: Was braucht es, damit Konflikte von Einzelnen und der Organisation nicht vermieden, sondern als Ressource des Wandels genutzt werden können? Leider Überzeugt die Antwortstrategie nicht auf ganzer Linie. In der täglichen Arbeit der Mediation zeigt sich, dass der anvisierte Perspektivwechsel nicht so leicht zu vollziehen ist. Das hat oft mit biografischen Anteilen zu tun, Prägungen, die nicht leicht abzuschütteln sind. Auch braucht es gelebte Erfahrungen, die begreifbar werden lassen, dass Konflikte konstruktiv transformiert werden können. Es geht um Vertrauen und eine ehrliche Selbstbefragung, welche Rolle man in Konflikten spielt. Wenn das Buch nicht ganz überzeugen kann, dann weil es seine Wirkung überschätzt. Ein Buch, was noch so viel Erfahrungen kommuniziert, kann letztlich die gelebten Erfahrungen nicht ersetzen, die schließlich zu der Einsicht führen können, dass Konflikte etwas ganz normales sind, die individuell und für Organisationen sogar konstruktiv zur Weiterentwicklung genutzt werden könnn.


Letzte Aktualisierung: April 03, 2025

Über den Autor

Dr. Lutz Fricke Michendorf

Mediation & Konfliktmanagement - Konflikte klären, gemeinsam Lösungen finden.

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